Mit Westfalen durch die Energiekrise
Das Energiegeschäft der Westfalen Gruppe hat 2022 eines ihrer ungewöhnlichsten Jahre erlebt. Aufgrund der Energiekrise stiegen viele Unternehmen und Privathaushalte auf Flüssiggas um.
Limburgerhof in Rheinland-Pfalz im Juli 2022: Franz Biewer hat sich entschieden. Der Bäcker setzt seinen auslaufenden Erdgas-Vertrag nicht fort. „Ich habe die Preisentwicklung bei Erdgas genau verfolgt: Das wurde utopisch, ich hätte mehr als das Sechsfache bezahlt! Dann habe ich mir Alternativen angeschaut – da standen alle Zeichen auf Flüssiggas“, betont der Inhaber der Bäckerei Konditorei Franz Biewer GmbH. „Über eine Internetsuche bin ich auf Westfalen gestoßen.“ Mit Flüssiggas heizt er nun zwei leistungsstarke Backöfen an und versorgt das Backhaus, den Verkaufsraum und einen Sozialraum mit Wärme und Warmwasser. Vor Ort wurde dafür eine Gastherme installiert.
Ähnlich wie Franz Biewer reagierten 2022 viele kleine und große Unternehmen sowie Privathaushalte auf die Energiekrise in Deutschland. Nicht nur die Preise stiegen stark an. Zeitweilig war unklar, ob die Versorgung mit Erdgas und Erdöl überhaupt gewährleistet werden konnte. Firmen, die mit Prozesswärme arbeiten, suchten nach Alternativen zu Erdgas – viele wechselten zu Flüssiggas.
Das Familienunternehmen Seeberger GmbH aus Ulm etwa nutzte Flüssiggas-Prozesswärme von Westfalen für die Röstung von Nüssen und Kaffee. Auch Großunternehmen wie BASF Coatings, Siemens Mobility, der Glashersteller Schott oder der Intralogistiker Jungheinrich wendeten sich im Verlaufe des Jahres 2022 erstmals an die Westfalen Gruppe, um ihren Erdgasverbrauch mit Flüssiggas zu substituieren. Sie suchten händeringend nach Lösungen für ihre drohenden Versorgungsprobleme. Für den Geschäftsbereich Energy Solutions der Westfalen Gruppe, in der das Geschäft mit Flüssiggas (LPG) und Propan gebündelt ist, begannen denkwürdige Geschäftswochen.
Viermal mehr Anrufe
„Eigentlich haben wir schon im September 2021 gemerkt, dass sich eine ungewöhnliche Entwicklung auf den Energiemärkten anbahnt“, erinnert sich Uwe Klöpper, Leiter Supply Chain Management Energy Solutions. Die russische Regierung drosselte zu dem Zeitpunkt zum ersten Mal ihre Gasliefermengen nach Deutschland. Die Preise stiegen an. „Die Industrie begann zu erkennen, wohin eine Erdgasknappheit führen kann. Und wir fingen an, uns zusätzliche Mengen an Flüssiggas zu sichern“, sagt Klöpper. Wichtige Quellen für die LPG-Versorgung sind deutsche Raffinerien und Importe aus Nordamerika, Norwegen, Afrika und dem mittleren Osten. Importe aus Russland spielen keine Rolle.
Mit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 standen die Telefone im Flüssiggas-Vertrieb nicht mehr still. „Zwei Wochen nach Kriegsbeginn vervierfachten sich die Anrufe bei uns und blieben dann deutlich über Vorjahr“, sagt Arnd Kegel, Leiter Vertrieb Bulk (Bereitstellung von Flüssiggas in Behälter- oder Tankform). Die Anrufer hatten viele Fragen auf dem Herzen, nicht nur zur Versorgungssicherheit. Sie erkundigten sich nach dem Unterschied zwischen verflüssigtem Erdgas (LNG) und Flüssiggas (LPG), stellten Preisvergleiche und Mehrwertsteuerberechnungen an, erfragten Kosten und Zeiträume für die Installationen von Flüssiggastanks. Privathaushalte, Kleinbetriebe und Konzerne holten Kostenvoranschläge ein.
„Wir haben schnell auf alle Anfragen reagiert und konnten so selbst in Stoßzeiten einen sehr guten Service sicherstellen“, erinnert sich Arnd Kegel. „Wir haben die häufigsten Fragen gesammelt, als FAQs auf die Website der Westfalen Gruppe gestellt und kontinuierlich informiert. Wichtig war, dass wir bei all dem Druck unsere Kunden weiter seriös beraten konnten.“ Denn zusätzlich bestellten viele Großunternehmen in dieser Zeit so genannte Back-up-Anlagen bei Westfalen, die einen Vorlauf von drei bis sechs Monaten haben, sehr aufwändig umzusetzen sind und mit langjährigen Lieferverträgen einhergehen.
Allein im Industriekundensegment wurden im vergangenen Jahr über 600 zusätzliche Kundenanfragen bearbeitet, bei denen Erdgas durch Flüssiggas ersetzt werden sollte. Und nur dank der entsprechenden Expertise und der engen Zusammenarbeit von Sales, Engineering Services, Product Management und Supply Chain Management konnte Westfalen einen Großteil dieser Anfragen bedienen und so insgesamt 30 Prozent zusätzlichen Absatz erzielen. „Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass dies eines der volatilsten und atypischsten Jahre für den Bulk-Vertrieb von Flüssiggas war“, resümiert Arnd Kegel. „Und ich bin sehr stolz auf unsere Vertriebsmannschaft, die proaktiv auf externe Faktoren reagiert und Chancen sehr schnell genutzt hat. Unser Team hat den Ansturm mehr als gut bewältigt; geschäftlich war 2022 ein sehr gutes Jahr für uns.“
Gasflaschen gehamstert
Normalerweise starten rund um Ostern die Vorbereitungen für die Grill- und Campingsaison. Doch durch die Gasmangellage war 2022 alles anders: Die Nachfrage nach Flüssiggas in Flaschen und Kartuschen stieg bereits im ersten Quartal bundesweit schlagartig an. „Die Endkunden haben deutlich mehr Flaschen aus den Geschäften getragen und diese wortwörtlich gehamstert“, erinnert sich Dr. Tim Fronholt, Leiter Flaschengas. Nicht nur Baumärkte waren betroffen, auch in Tankstellen und Getränkemärkten waren Propangas-Flaschen Mangelware. „Aufgrund unserer Wachstumsstrategie hatten wir uns für 2022 bereits gut mit Neuflaschen eingedeckt. So konnten wir trotz der extrem hohen Nachfrage unsere Kunden sehr lange mit bedienen, während Wettbewerber quasi schon leergelaufen waren“, erzählt Fronholt. Die Herausforderungen seien 2022 daher eher auch gewesen, den starken Bedarf der Westfalen Kunden zu bedienen und einkaufsseitige Preissteigerungen, etwa teurere Flaschen durch gestiegene Stahlpreise, abzufedern. „Insgesamt konnten wir jedoch durch den vollen Einsatz des gesamten Teams und trotz der herausfordernden Zeiten unser Ergebnis signifikant steigern“, so der Leiter des Westfalen Flaschengasbereiches. Insbesondere die Kundennähe von Westfalen zahlte sich im vergangenen Jahr noch mehr als sonst aus: „Für viele Kunden spielte angesichts des Lieferstopps für russisches Erdgas unter anderem die Herkunft des Propangases eine große Rolle“, erklärt Fronholt weiter. „Doch in vielen persönlichen Gespräche konnten wir Unsicherheiten abbauen und deutlich machen, dass die Versorgung gesichert ist.“
Dass die Bulk- und die Flaschenteams von Energy Solutions den ersten Ansturm bewältigen konnten, ist auch der Arbeit des Logistikteams zu verdanken. Das Supply Chain Management gewährleistete während der ganzen Zeit die Versorgungssicherheit aller Tankläger über das Drehkreuz Krefeld. Im dortigen Rheinhafen betreibt die Westfalen Gruppe ein Binnenterminal. Das zentral gelegene Flüssiggas-Tanklager zählt zu den modernsten und leistungsfähigsten in ganz Europa. „Beim ersten Nachfrage-Peak im Frühjahr haben wir jeden Tag die Ladung eines Tankschiffs umgeschlagen und trimodal, also über Wasser, Schiene und Straße, an die Umschlagstandorte weiterverteilt“, erklärt Uwe Klöpper. Mit logistischen Herausforderungen kämpften die Teams in den Monaten des Bestellansturms dennoch: Durch den Rhein floss im Sommer zu wenig Wasser, um genügend Tankschiffe am Krefelder Terminal anlegen zu lassen. Stattdessen fuhren Bahnkesselwagen die großen Flüssiggas-Mengen zu den Tanklagern. Außerdem belieferte Westfalen ihre Flüssiggas-Kunden mit eigenen Tanklastwagen. Die Lkw-Flotte wurde mit 70 zusätzlichen Berufskraftfahrer:innen und 60 neuen Fahrzeugen verstärkt. Siebenstellige Investitionen flossen in die Erweiterung der eigenen Flüssiggas-Logistik. Eigentlich sollte diese Neuorganisation während der üblichen Sommerflaute stattfinden, stattdessen erfolgte sie nun im turbulenten Geschäftsbetrieb.
Gas-Notstand ausgerufen
„Der 1. Juli 2022 war einer der ungewöhnlichsten Tage in meiner fast 30-jährigen Karriere bei Westfalen“, erinnert sich Uwe Klöpper. „So etwas hatte ich bis dahin noch nicht erlebt.“ Eine Woche zuvor hatte die Bundesregierung die erste Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Sie befürchtete, dass die deutschen Gasspeicher im Winter nicht ausreichend gefüllt werden könnten. Alle Hände voll zu tun hatte nun das Vertriebsteam von Arnd Kegel: Rund 13.000 Anrufe nahm es in den Sommerwochen an. Im Vorjahr waren es in diesem Zeitraum weniger als 2.000 gewesen. Erst zum Ende des Jahres entspannte sich die Energiekrise, was an einem milden Winter und auch an eingesparten Erdgasmengen lag. Ob die Branche allerdings zu den Preis- und Mengenniveaus von Flüssiggas vor 2022 zurückkehren wird, ist unvorhersehbar. „Die Spielregeln wurden im Jahr 2022 spürbar auf den Kopf gestellt“, resümiert Uwe Klöpper. „Wir haben mit unserer Versorgungskette einen herausfordernden Job geleistet. Wir haben mit großen Firmen Verträge geschlossen, mit neuen Kunden gesprochen und neue Abnehmer für Flüssiggas gefunden. Das Jahr hat unser Geschäft spürbar nach vorne gebracht.“